Lebensdaten:
Ignaz Semmelweis wurde als fünftes Kind des Kolonialwarengroßhändlers Josef Semmelweis und dessen Gattin Theresa geboren. Als Kind genoß er den Segen, daß seine weitblickenden Eltern auf umfassende Bildung ihrer Kinder drangen.
Der Weg durch die folgenden Kindheits- und Jugendjahre wurde von umfassendem Bildungserwerb geprägt. Erzbischöfliches Gymnasium, Piaristen-Gymnasium, Studium der Philosophie und Jura, ab 1838 Studium der Medizin in Pest und Wien und schließlich 1844 die Promotion zum Doktor der Medizin im Bereich Geburtshilfe.
Erstaunlich ist das Thema seiner Dissertation gewesen: „Tractatus de vita plantarum“ (Über das Leben der Pflanzen), eine Beschäftigung mit dem populären Thema des Vitalismus. Doch die Vertiefung in diese Theorie war wohl unverzichtbar, um die von ihm später erfolgte Mitbegründung der evidenzbasierten Medizin voranzubringen.
Semmelweis war in seiner Denk- und Forschungsarbeit auffallend unorthodox; geprägt von komplexen Denkstrukturen, die unabdingbar sind, um Ansatzpunkte für wirkliche Entwicklungen zu finden. Wie Rudolf Diesel mußte der ebenso offene Charakter Semmelweis die Erfahrung machen, daß die Gabe von außergewöhnlicher Gestaltungskraft und Visionsgeist unweigerlich zu Kollisionen mit neidigen Zeitgenossen führen muß. Wer wie er die Lebenskraft in wirklich Großes investiert, ist nicht in der Lage und Willens, Kraft für Machtkämpfe zu vergeuden – mit seinen bekannt fatalen Folgen.
Es war diesem großen Sohn unseres deutschen Volkes zu verdanken, daß für viele Frauen die Entbindung sich nicht mehr zu einer Begegnung mit dem Tode durch das damals weit verbreitete Kindbettfieber auswuchs. Letalitätsraten lagen in Geburtskliniken mitunter bei 30 %. Was die Gebärende und deren ganze Familie an Bangen ertragen mußte, kann man sich heute kaum noch vorstellen.
In den Jahren 1847 bis 1848 fertigte Doktor Semmelweis seine
ihn berühmt machende Studie
„Die Ätiologie, der Begriff und die
Prophylaxe des Kindbettfiebers“ an, in welcher er den Nachweis der
bakteriellen Infektionskette erbrachte und den Zusammenhang zwischen Sektionen
an Leichen und ungenügenden Desinfektionsmaßnahmen in der gleichzeitigen
Behandlung von Gebärenden durch die behandelnden Mediziner nachwies. Seine
Vorgehensweise führte zur Senkung der Letalitätsraten in den von ihm betreuten
Fällen auf 1,3 %, was ein gewaltiger Fortschritt war.
Doch seine Gegner feindeten Semmelweis erfolgreich als „Nestbeschmutzer“ an, bewirkten die Verhinderung der Verlängerung seiner Assistenzarztanstellung, was zu seinem Ausscheiden aus dem Krankenhausdienst führte. Es war vielen Ärzten dieser Zeit nicht gegeben einzusehen, daß sie selbst durch mangelnde Hygiene Tod unter die Gebärenden brachten, statt Leben zu retten. Die kleingeistige Eitelkeit einiger von ihnen verfolgte Dr. Semmelweis über ein Leben lang. Intrigen und Anfeindungen erreichten ihn an seiner späteren Wirkungsstätte in Pest (Ungarn) ebenso, wie im täglichen gesellschaftlichen Leben.
Dr. Semmelweis war kein guter Diplomat, sondern begnadeter Arzt. Er besaß eine Rechtschreibschwäche und Angst vor öffentlichem Sprechen. Eigene Veröffentlichungen in Fachblättern zu seiner fachlichen Rechtfertigung konnten die eloquenten Anwürfe seiner Gegner kaum entkräften. Die seelische Last für den großen Arzt der Deutschen wuchs über das Tragbare hinaus. Die gequälte Seele formulierte zunehmend unkonventioneller offene Briefe an die eitlen Gegner, was diesen Munition in ihrem Kampf gegen den Volksarzt lieferte.
So schrieb Semmelweis 1861 an seinen Widersacher Hofrat Scanzoni in Würzburg: „…Sollten Sie aber, Herr Hofrat, ohne meine Lehre widerlegt zu haben, fortfahren Ihre Schüler und Schülerinnen in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und der Welt für einen Mörder…“
Nur wenige erfaßten Semmelweis‘ Lebensopfer für die Mütter. Einer der wenigen, Louis Kugelmann aus Hannover, schrieb ihm 1861 dankbar für seine offenen Denkbriefe:
„…Nur sehr wenigen war es vergönnt, der Menschheit wirkliche, große und dauernde Dienste zu erweisen und mit wenigen Ausnahmen hat die Welt ihre Wohltäter gekreuzigt und verbrannt…. Als Pythagoras seinen berühmten Lehrsatz entdeckt hatte, opferte er seine Hekatombe. Seitdem haben die Ochsen eine instinktartige Furcht vor der Entdeckung von Wahrheiten…“
Im Juli 1865 wurde Dr. Semmelweis von drei Ärzten ohne Diagnose in die Landesirrenanstalt Döbling befördert. Das Werk seiner kleingeistigen Feinde dürfte damit seinen krönenden Höhepunkt erfahren haben. Am 13. August des Jahres 1865 verstarb Dr. Semmelweis nach zweiwöchigem Aufenthalt mysteriös.
Seinem Biographen Sherwin Nuland zu Folge soll Dr. Semmelweis bei einem Kampf mit dem Anstaltspersonal erschlagen worden sein, nach seiner Niederwerfung wurde zusätzlich noch auf ihm herumgetrampelt – die Umgebung formte schon damals manchen Charakter.
1963 wurden seine sterblichen Überreste exhumiert und dabei multiple Frakturen an Händen, Armen und linkem Brustkorb nachgewiesen. Diese späte Erkenntnis stellt die offiziell bescheinigte Todesursache „Gehirnlähmung“ eines unverantwortlichen Schweigekartells seiner Zeit in Frage.
Dr. Semmelweis hinterließ seine Frau und drei Kinder, die fortan in Not und kargem Dasein zu leben hatten. Erst viele Jahre später setzten sich seine Erkenntnisse durch. Ehrungen folgten posthum, in der DDR legte man sogar eine Sonderbriefmarke auf. Eine Büste erinnerte im Bezirkskrankenhaus Brandenburg an der Havel an ihn, bis sie nach der Wende spurlos verschwand. Ein Asteroid wurde nach ihm benannt und im Jahre 2019 wurde an der Medizinischen Universität Wien eine würdige Statue enthüllt, ein Geschenk der Semmelweis Universität zu Budapest.